Die ersten drei Monate in Kolumbien

Seit nun schon drei Monaten lebe ich, Henrik Bongartz, hier in Kolumbien, genauer gesagt in Ibagué, der achtgrößten Stadt des Landes. Beworben hatte ich mich bereits im Herbst des letzten Jahres. Nach der Zusage der DPSG war für mich dann klar, dass mein Traum, nach dem Abitur ein Jahr in Kolumbien leben und arbeiten zu dürfen, wahr werden würde. Nach einigen Vorbereitungsseminaren ging es dann am 3. August endlich los.

Gemeinsam mit meinen drei Mitfreiwilligen Pia, Amelie und Leonhart bin ich von Frankfurt aus in die kolumbianische Hauptstadt Bogotá geflogen. Leo ist direkt in Bogotá geblieben, da er seinen Freiwilligendienst dort verrichten wird. Für uns drei verbliebenen ging es am nächsten Morgen direkt weiter mit dem Bus nach Ibagué. Nach ein paar Tagen der Eingewöhnung und der Klärung einiger For

malitäten, fing dann unser fünfwöchiger Sprachkurs an. Jeden Tag um drei trafen wir uns mit unserem Lehrer Luis Fernando, der normalerweise an der Universidad del Tolima Englisch unterrichtet. Der Unterricht bestand aus etwa zwei Stunden Theorie, die mir zumindest als kleine Auffrischung der in drei Jahren in der Schule erlernten Spanischkenntnisse sehr gelegen kam. Der wirklich spannende Teil fing aber danach an. Luis Fernando hatte es sich zur Aufgabe gemacht, uns in unserem gemeinsamen Monat so viel wie möglich von der Stadt und Kultur näher zu bringen. So waren wir also in der Innenstadt, in den großen Einkaufszentren, in vielen Restaurants, in der Universität, im Kino, haben die Natur der Region in zwei tollen Tages

ausflügen kennen gelernt, er hat uns einigen Freunden und Schülern vorgestellt und hat uns sogar das kolumbianische Nachtleben mit einem Ausflug in die Disco gezeigt. Zurück zu Hause waren wir um fünf Uhr morgens. Die perfekte Mischung aus manchmal doch eher trockenem Unterricht und tollen Unternehmungen hat diesen ersten Monat für uns drei sehr angenehm gemacht.

 

Aber das war noch lange nicht alles, was wir gemacht haben. Bereits an unserem zweiten Wochenende sind wir Freiwilligen gemeinsam mit Alejandra, Julio und Esther in die Desierto de la  Tatacoa gefahren. Die drei haben vor mehr als zehn Jahren das Projekt Sueños Especiales gegründet. Esther, die selber im Jahre 2002 als Freiwillige eines anderen Projektes in Kolumbien war,  hier geblieben ist und hier zehn Jahre lang gelebt hat, lebt und arbeitet mittlerweile wieder in Deutschland. Alejandra und Julio leiten weiterhin hier das Projekt. Die Wüste, die wir nach etwa fünf Stunden Fahrt erreicht haben, ist tatsächlich gar keine Wüste, sondern „nur“ eine Vorstufe. Ob nun aber Vorstufe oder richtige Wüste, eindrucksvoll war sie allemal und die verschiedenen Bereiche haben wir gemeinsam mit einem Guide erkundet. Dieser kannte die Wüste wie seine Westentasche und auch die teilweise sehr abenteuerliche Wanderung war für ihn kein Problem. Wir haben uns bei Temperaturen von knapp 40° eher schwer getan.

 

Nach einem Monat der Erkundungen, des Lernens und des Verstehens hieß es auf Wiedersehen für Amelie, die den ersten Monat lang wegen des Sprachkurses mit Pia zusammengelebt hatte. Für den Rest des Jahres wird sie jedoch im etwa zwei Stunden weit entfernten Líbano arbeiten. Ich arbeite hier bei Sueños gemeinsam mit den bereits erwähnten Alejandra und Julio. Ebenfalls zum Team gehören Karen, Natalia und German. Die letzten beiden arbeiten ebenfalls einige Vormittage in der Woche als Lehrer in einer Grundschule. Mit ihnen und ihrem Hund Bonnie werde ich auch dieses Jahr lang zusammenleben.

 

Direkt zu Anfang hat mir Alejandra, die jedes Jahr für den Freiwilligen in der Organisation zuständig ist, meinen Wochenplan präsentiert, der sich bis Anfang nächsten Jahres auch erst einmal nicht verändern wird. Sueños besteht aus verschiedenen Gruppenangeboten für Kinder von sechs bis 17 Jahren. Diese werden wiederum in drei Altersgruppen eingeteilt.

Die Kleinsten, die etwa sechs bis zehn Jahre alt sind, treffen sich zweimal in der Woche mit Alejandra in der Gruppe Travesía Yarumo. Ziel ist es, den 14 Kindern, die fest in der Gruppe eingeschrieben sind, alle Aspekte der Natur des Landes und der Region näher zu bringen. Vom Nahrungsmittelanbau über Klimaschutz bis hin zur Flora und Fauna werden alle Themen behandelt. Der Fokus der einzelnen Gruppen ändert sich jedoch von Jahr zu Jahr. Ein weiteres Angebot ist die von Karen geleitete Gruppe der Manualidades, zu deutsch Handarbeiten, in der, wie der Name schon verrät, vor allem gemalt und gebastelt wird.

Die zweite Altersgruppe umfasst ebenfalls 14 Kinder und Jugendliche von zehn bis 14 Jahren. Sie treffen sich an drei Nachmittagen in der Woche mit Natalia in der Gruppe Rueda la Voz und beschäftigen sich mit allen Themen in Bezug auf Kommunikation. Auch in dieser Gruppe ändert sich der Schwerpunkt zum Anfang jedes neuen Jahres. Für diese Jugendlichen gibt es auch noch das Angebot der Gruppe Grafo mit German, in der sie zeichnen, malen und verschiedene kreative Projekte durchführen. Ebenso zweimal die Woche trifft sich die Gruppe Ingles 1.

            Die Ältesten, die Planetarios, sind bis zu 17 Jahre alt und gehen zweimal in der Woche durch das Nachbarviertel und unser Viertel Tierra Firme, klopfen bei jedem Haus und fragen, ob die Leute recycelbaren Müll haben. Diesen ordnen sie dann nachher, um ihn letztendlich zu verkaufen. Julio, der diese Gruppe leitet, bietet ebenfalls die Gruppen Ingles 2 und Teatro an, an denen auch einige Erwachsene teilnehmen. Insgesamt sind zurzeit 56 Kinder und Jugendliche feste Mitglieder. Es gibt Kinder, die nur an einer Gruppe teilnehmen, aber viele sind auch Teil von zwei oder sogar drei Gruppen.

Ich als Freiwilliger arbeite in allen genannten Gruppen einmal in der Woche mit, abgesehen von Ingles 1. Die Gruppe leite ich mit Alejandra zusammen zwei Mal die Woche und bereite sie mit ihr zusammen vor. Auch die Arbeit der anderen Gruppen wird jeden Donnerstag in einer Teambesprechung vorbereitet. Meine Aufgaben bestehen im Moment darin, die jeweiligen Leiter der Gruppen so gut es geht zu unterstützen und mit auf zu passen, dass die Kinder keinen Quatsch machen. Bei den Kleinen bin ich auch immer gut damit beschäftigt, mit den beiden behinderten Gruppenmitgliedern zu spielen. Generell war bei Sueños von Beginn an klar, dass auch Kinder und Jugendliche mit Behinderung an den Gruppen teilnehmen können sollten. Da mein Spanisch immer besser wird und ich die Gruppen und die einzelnen Kinder immer besser kennen lerne, werde ich auch immer mehr in die Planung und Leitung der Gruppen miteinbezogen. Ab Anfang Februar, mit anderen Worten nach der „Winterpause“, werde ich mit Hilfe von Alejandra zusammen meine eigene Gruppe eröffnen. Thema der Gruppe soll Sport sein und ich will den Jugendlichen in den dann noch verbleibenden sechs Monaten die Sportarten Badminton, Volleyball und American Football beibringen.

 

Auch mit meinem Wohnort bin ich sehr zufrieden. Mit Natalia und German komme ich soweit sehr gut aus und zur Arbeit brauche ich zu Fuß etwa zwei Minuten. Auch Pia wohnt nur eine Straße weiter. Das barrio (Stadtviertel) Tierra Firme, in dem ich lebe und arbeite, ist eher ärmlich und wirkt eher wie ein kleines Dorf, als wie Teil einer großen Stadt. Das Zentrum dieser Stadt ist allerdings mit einem der im zehn-Minutentakt fahrenden Busse innerhalb von 20-25 Minuten zu erreichen. Für den Bus bezahlt man jedes Mal beim Einsteigen umgerechnet knapp 50 Cent, egal ob man nur ein paar Meter weit fährt oder einmal quer durch die Stadt. Und einmal durch die ganze Stadt zu fahren kann durchaus ein Weilchen dauern. Ibagué ist nämlich durch Berge im Norden und Süden begrenzt und ist demzufolge auf der Ost-West-Achse sehr lang gestreckt. Alternativ zum Bus kann man auch stets eins der unzähligen und im Vergleich zu Deutschland unglaublich günstigen Taxen nehmen. Auch Fernreisen sind in Kolumbien recht unkompliziert – solang man einigermaßen gut spanisch spricht und das System kennt. Kolumbien ist fast viermal so groß wie Deutschland, hat allerdings „nur“ 50 Millionen Einwohner. Viele Gebiete sind dünn besiedelt und um die oft weiten Strecken zwischen den größeren Städten zu überwinden nimmt man am besten einen Fernbus. Diese fahren erstaunlich häufig und sind zudem sehr günstig. Für die vierstündige Fahrt nach Bogotá bezahlt man beispielsweise lediglich acht Euro. Ein Aspekt, den ich persönlich hier sehr angenehm finde, ist das Klima. Damit meine ich nicht nur, dass es hier in Ibagué fast immer 30° warm ist, sondern auch dass in Kolumbien das Klima vor allem durch die Höhenlage der Stadt bestimmt wird. Wenn einem das warme Wetter hier also zu viel wird, kann man jederzeit mit dem Bus auf die Berge im Osten der Stadt fahren, wo es etwa 10° kälter ist.

 

Insgesamt ist mein erster Eindruck von Kolumbien fast durchweg positiv. Ich bin immer wieder überrascht, wie viel Herzlichkeit die meisten Menschen hier zeigen. Auch daran, oft von den Menschen hier angeschaut zu werden, gewöhnt man sich. Wirklich verübeln kann ich es den Leuten auch nicht, schließlich sieht man in Kolumbien so gut wie nie Menschen, die 1,93m groß sind. Einer der größten Unterschiede zwischen Kolumbien und Deutschland, den ich soweit feststellen konnte, ist die riesige Spanne zwischen arm und reich. Auf der einen Seite der Stadt leben Menschen teilweise in Wellblechhäusern, auf der anderen in Häusern, auf die auch in Deutschland die meisten Leute neidisch wären. Abgesehen davon kann nur ich sagen, dass ich Kolumbien für ein unglaublich vielfältiges und einzigartiges Land halte. Meine ersten drei Monate hier hätte ich mir nicht viel schöner vorstellen können und ich bin mir sicher, dass das die nächsten Monate auch so bleibt.

 

Bis dann und viele Grüße aus Kolumbien,

Henrik